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Die
Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung
aus Theorien der Sozialpsychologie Bd. I (Frey/Irle Hrsg)
Kognitive Theorien Verlag Hans Huber 2.Aufl.1993
2.Directive State-Theorie der sozialen Wahrnehmung
- angenommener direkter Einfluß sozialer Variablen
auf die Wahrnehmung
2.1. Thesen zum Directive State-Konzept
- körperliche Bedürfnisse determinieren die
Wahrnehmung tendenziell
- Belohnungen und Bestrafungen determinieren die Wahrnehmung
in assoziierten Reizsituationen
- subjektiv charakteristische Werthaltungen beeinflussen
die Wiedererkennungszeit von Wörten, die drauf bezogen sind
- der zugeschriebene Wert determiniert die wahrgenommene
Größe
- Umwelt wird so wahrgenommen, wie diese mit den Persönlichkeitseigenschaften
konsistent ist
- Verwirrende und bedrohliche Reize erfordern eine längere
Wiedererkennungszeit, als neutrale Reize
- emotionale Aktivierung bereits vor
endgültiger Identifizierung des Reizes
2.2. Kritik am Directive State-Konzept
- mehrdeutige und widersprüchliche Ergebnisse in
Experimenten, bedingt durch Designmängel und fehlerhafte
Operationalisierungen
- keine Erklärung von Wahrnehmungsabwehr (Alternativentscheidung
zwischen Wahrnehmungsmodellen?)
- Bedürfnisse, Motive und Werte werden als wirksam
beschrieben, aber die Wirkungsweise bleibt unerläutert
- Beteiligung anderer kognitiver Prozesse? (Relevanz
vs. Inhalt?)
- keine Berücksichtigung der Vorerfahrungen der
Vp (diese determiniert aber die Wahrnehmungsbereitschaft)
- unterschiedliche Ergebnisse zwingen zu permanenter
Neuannahme jeweils anders wirkender Mechanismen
3. Die Hypothesentheorie
- jeder Wahrnehmungsvorgang beginnt mit eienr Hypothese
(perceptual set/ cognitive predisposition)
- dies sind Erwartungs-Hypothesen, welche die Wahrnehmungssuche
"leiten"
- nicht die Bedürfnisse, Werte und motivationalen
Zustände sind wahrnehmungsdeterminierend, sondern die
Erwartungshypothese (B,W, M sind nur noch Dimensionen
des perceptual set)
- soziale Wahrnehmung als prozessuale Bedingung (nicht
strukturell)
- beobachtet werden die Beziehungen zwischen Denk-, Erfahrungs-
und Planungsperspektiven des Beobachters
3.1. Implikationen
- Wahrnehmung der Stimulussituation ist nicht zufällig
oder beliebig
- bestehende Hypothesen werden verfestigt, geändert,
ergänzt oder gelöscht (ersetzt)
- wiederholte Wahrnehmungsvorgänge bilden ein verfestigtes
Hypothesensystem
- dies führt zur Bildung von Wissensvorräten
oder sozialer Repräsentationen, die sowohl inhaltlich-interpretative
Momente wie auch Strategien zur Lösung
von Wahrnehmungsaufgaben beinhalten
3.2. Zentrale Konzepte der Hypothesentheorie
3.2.1. Wahrnehmungs-Erwartungsmodell
- die Erwartungshypothese steht am Beginn jeder Wahrnehmung
- diese wird aus dem kognitiven Repertoire ausgewählt
- tendenziell entscheidet die Erwartungshypothese darüber,
was (sekundär) wahrgenommen wird
- dabei kann es Monopol- und Superhypothesen geben
- diese können ranggeordnet oder von unterschiedlicher
Stärke sein
3.2.3. Hypothesenstärke
- Konstrukt der Hypothesentheorie
- eine starke Hypothese bestimmt primär die Wahrnehmungsergebnisse
(konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung )
- es werden jedoch auch Wahrnehmungsituationen unter
der Bedingung einer schwachen Erwartungshypothese einbezogen
- Wahrnehmungsaufgaben bei schwachen Erwartungshypothesen
erforden höheren kognitiven Einsatz durch Bildung
zusätzlicher Hypothesen aus der Situation
(datengesteuerte Informationsverarbeitung).
- Dabei werden Wahrnehmungen umstrukturiert und neu bewertet.
3.3. Das Prüfverfahren
- es erfolgt ein Durchlaufen eins dreistufigen Zyklus
(Bruner 1957)
1.Bereitstellung einer Erwartungshypothese
2.Informationseingabe (-aufnahme)
über den wahrzunehmenden Gegenstand
3.Hypothese bestätigt: Wahrnehmung
wird abgeschlossen
Hypothese widerlegt:
Zyklus beginnt von neuem (mit neuer Hypothese)
- dabei wird das Hypothesenreservoir nicht etwa um nicht
bestätigte Hypothesen reduziert, sondern die
nicht bestätigte Hypothese verbleibt im Reservoir
- dies betrifft insbesondere Hypothesen bzgl.zentraler
Lebenslagen, aber auch Expertenwissen bleibt gespeichert
- angestrebter Perspektivewechsel bedingt höheren
kognitiven Aufwand zur Informationsfindung gegen die
gängigen Hypothesen und verzögert die
Lösung einer Aufgabe
- Positivitäts-Bias: Superhypothese, nach
welcher in der Personenwahrnehmung überwiegend positive Informationen
gesucht werden und Bestätigungsstrategien vorherrschen
- Vermutung: Bestätigungstrategien werden
für die Vorhersage, Widerlegungsstrategien für die Erklärung
von
Ereignissen herangezogen
- nicht passende, ständig widerlegte Hypothesen
werden gelöscht, um Fehlanpassungen zu verhindern
3.4.Kernannahmen
je stärker eine Hypothese ist,
-desto größer
die Wahrscheinlichkeit ihrer Aktivierung (priming)
-desto geringer
ist die zu Ihrer Bestätigung notwendigen unterstützenden Reizinformation
-desto stärker
muß die Menge widersprechender Reizinformation sein, damit sie widerlegt
werden kann
3.4.1. Alternativ-Hypothesen
- je größer die Zahl konkurrierender Hypothesen,
umso größer muß die Menge passender Reizinformation sein,
um eine davon zu bestätigen
- je größer die Zahl alternativer Hypothesen,
umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich irgendeine von
ihnen bestätigt
- die Hypothesen "wetteifern" miteinander, und stärkste,
die für die Information passend ist, wird bestätigt
- unklare Reizsituationen: geringe, unspezifische
Information bei gleich schwachen Hypothesen
- mehrdeutige Situationen: große Informationsmenge,
verschiedene Lösungsgesichtspunkte enthalten,
3.4.2.Experimente
- Reduzierung der Anzahl verfügbarer Hypothesen
durch Vorbereitung der Vp auf eine zu erwartende Situation
- Wahrnehmung ist effizienter, wenn Aufmerksamkeit z.B.
auf eine einzige Klasse von Worten, die im Tachistoskop
erschienen, gerichtet war (Bruner &
Postman 1949)
- Stereotyp: Reduktion von Alternativen auf eine einzige
starke Hypothese (im Sinne einer monopolistischen,
nicht veridikalen Hypothese über eine Klasse
von Sachverhalten) - nicht-veridikal= monopolistisch
- Stereotyp wird schon durch eine geringe Menge an Reizinformation
bestätigt- z.B. alle Juden sind geschäftstüchtig
3.5.Motivationale Einflüsse
- diese waren im Directive State-Konzept des "new
look in perception" die einzigen und alles entscheidenden
Determinanten der Wahrnehmung
- wirken selektiv durch Hinlenkung auf hypothesenunterstützende,
und Weglenkung hypothesenkonträrer Information
- Prädisposition der Erwartungshypothese
- Kausalbeziehung zwischen Bedürfnissen, Trieben,
Wünschen und Wertvorstellungen ( hot cognitions)
- Selektions- und Attributionsmechanismen, Defizite und
Irrtümer bezeichnet man dagegen als cold cognitions
- nach der Hypothesentheorie wirkt jeder motivationale
oder emotionale Zustand
- Negativitäts-Bias: bei Depressionspatienten
wurde beobachtet, daß versucht wird, positive Informationen zu falsifizieren,
wodurch diese nach und nach aus dem Repertoire
ausscheiden
3.5.1.Ergebnisse der Forschung zu motivatonalen Einflüssen
- Häufigkeit bedürfnisbezogener Wahrnehmungsantworten
als Funktion zunehmender Intensität von
Bedürfnissen (Hunger, Durst, usw.) nimmt
bis zu einem gewissen Grad zu, steigert sich dann aber nicht mehr
(bei Nahrungsentzuug keine Steigerung der nahrungsbezogenen
Responses ab 20 Stunden)
- stark selektive Ausrichtung der Objektwahrnehmung durch
Werthaltungen und emotionale Haltungen.
- höhere Wahrnehmungssensitivität bei negativen
(also bedrohlichen) Verstärkern (=stärkere Hypothesen)
- je höher ein Wert eines Objektes, umso größer
ist es
- hingegen auch: je kleiner ein Objekt ist, umso wertvoller
- perceptual defense (Wahrnehmungsabwehr): hohe Wahrnehmungschwelle
- perceptual vigilance (Wahrnehmungserleichterung): starke
Hypothesen stehen "bereit"
- Annahme: Wahrnehmungsabwehr tritt in Situationen auf,
in welchen eine Superhypothese der sozialen Erwünschtheit eine
Wahrnehmungsantwort verhindert (z.B. bei der Präsentation
von Tabu-Wörtern)
3.5.2. Kognitive Einflüsse
- je fester eine Hypothese im kognitiven System eines
Beobachters verankert ist, desto geringer ist die notwendige
Menge an passender Reizinformation zu ihrer Bestätigung,
und umso größer ist die Änderungsresistenz.
- es bestehen Bezüge zu Nachbarhypothesen (Begründungszusammenhänge)
- je stärker die Bezüge, umso mehr Änderungsbedarf
zur Änderung einer Hypothese entsteht
- bei großer Informationsmenge werden eher Selektions-
bei geringer Informationsmenge eher kognitive
Ergänzungsmechanismen wirksam.
- Salienz Effekte: Hervorhebung oder Betonung
bestimmter Reizaspekte erhöht die Wahrscheinlichkeit bestimmter
Hypothesen (z.B. einzelne, auffallende Ausländer in einer Personengruppe)
- Vividness: konkrete Informationen sind interessanter
als abstrakte und haben größeren Einfluß auf die Hypothese
- je geringer die Menge unterstützender Reizinformation,
desto stärker ist die Tendenz, daß eine dominate Hypothese
die Lösung der Wahrnehmungsaufgabe übernimmt (Präsentation
blauer Bananen: Ergebnis: Bananen)
- angesichts nicht vereinbarter Information kommt die
Dominanzhypothese zum Zuge
3.5.3. Soziale Einflüsse
- vemutlich die wichtigste Determinante der Wahrnehmung
- ohne passende Reizinformation dient die Übereinstimmung
mit Dritten zur Bestätigung einer Hypothese
- Impliziter Konsens: Wert- und Normvorstellungen
und Interpretationsrichtlinien als Super- und Leithypothesen
z.B. unterschiedliche
Tiefen- und Farbwahrnehmung westlicher und nicht-westlicher Kulturen
oder aus der Attributionsforschung: Kausalattributionen
von Erfolg und Mißerfolg:
bei uns: Erfolg internal, Mißerfolg external attribuiert,
im ostasiatischen Kulturkreis umgekehrt!
-Expliziter Konsens: konkreter sozialer Kontext:
Gruppendruck (Asch)
soziale Erwünschtheit wirkt wie eine Superhypothese
3.6. Hypothesentheorie und Schemaforschung
Hypothesentheorie Schemaforschung
klar definierte Erwartungen über Reizzustände | |
Wahrnehmungsvorgang (prozessual) | Gedächtnis |
Dominanz einer Hypothese | Salienz |
Hypothesenstärke | |
relationales Beziehungsgeflecht | kognitive Schemata heterogen und teilweise divergent |
3.7. Hypothesentheorie und Forschungen zur sozialen
Kognition
- Vorgänge "hinter" den Hypothesen und Schemata
- Art und Organisation der im Gedächtnis gespeicherten
Informationen sowie deren Implikationen
3.8. Hypothesentheorie und Dissonanztheorie
- sind eng verflochten
- Informationsverarbeitung und Informationssuche
- relevant für Risiko- und Gefahreneinschätzung
- Suche und Bewertung von Informationen im Lichte ein
Hypothese oder einer tentativen Entscheidung
- Dissonanz entsteht dann, wenn zwei Kognitionen einer
subjektiven Hypothese widersprechen
4. Exemplarische Anwendungsgebiete
- negative Warentest-Informationen wirken wie starke
Hypothesen bei der Kaufentscheidung
- Gerüchte (Erfolgserklärung attraktiver Frau:
Verhältnis mit Chef: aus motivationalen Beweggründen: Neid, Haß,
Eifersucht)
- Intrigen (Juden sind Brunnenvergifter)
- Hypothesen-Repertoire wird durch lebenslange Sozialisationsprozesse
geprägt
- Prozess der Wahrnehmungs-Sozialisiation: Veränderung
der (alterungsbedingten) Lebensumstände führen zu einer
Verschiebung im Hypothesen.-Repertoire durch
Löschung alter und Bildung neuer Hypothesen
- Lehrerverhalten in Gruppensituation nach prädispositiver
Schilderung seines Charakters (warm-/kaltherzig)
- Urteilssimplifizierung durch Stereotype (Vp mit Vorurteilen
gegen Schwarze schätzen deren Hautfarbe dunkler, als diese tatsächlich
ist)
- Entscheidungsstabilisierung durch Beharrungsvermögen
des kognitiven Systemes bzw. dessen Variabilität
- Urteilshomogenität (Cooper et.al. 1975): Studienerfolg
einer Person wird höher eingeschätzt, das Erreichen eines höheren
akad.Grades wird zugetraut, wenn die einzuschätzende
Person der Mittelschicht zugeordnet wurde.
Weiße Personen der Mittelschicht wurde größere
Selbstverantwortung für Mißerfolge im Studium zugeschrieben,
als allen
anderen Personen. Je geringer die Schulbildung
der Vp war, umso stärkere Bindung an das Sterotyp.
- Self-Fulfilling-Prophecy: je größer
der Wunsch nach Eintritt eines Ereignisses, desto mehr Verhaltensenergie
wird in diese
Richtung gelenkt: high-expectancy-Schüler
erhalten ein besseres soziales Klima, differenziertere Rückmeldungen,
anspruchvollere
Inhalte und mehr Antwortgelegenheiten.
- kognitives Rollenkonzept: in der Gesellschaft geteilte
Erwartungen über adäquate Verhaltensweisen bei der Rollenausübung
- Organisationspsychologie und Konsumentenforschung
- Verhaltenserwartungen stellen einen besseren Prädiktor
dar, als Verhaltensintentionen (Warshaw & Davis)
- Verhaltenstherapie: Selbstwirksamkeitstheorie (Bandura
1977): Hypothesen über das Selbst
- Sozialisationsforschung: unterschiedliche Lebensabschnitte,
Untersuchung des Generationenkonfliktes
- Wirtschaft und Politik: Erwartungen über Zins-,
Börsen und Marktentwicklung. Wirkung auf die Sparquote
(nicht das derzeitige Einkommen ist entscheidend,
sondern das erwartete: Konsumentenverhalten)
Dies hat Einfluß auf Konjunkturverläufe